Wird das Sitzenbleiben abgeschafft?

„Hurra! Hurra!“ wird mancher Schüler nun denken. Das wäre doch toll, wenn man das Schuljahr nicht mehr wiederholen müsste, obwohl auf dem Zeugnis nicht nur eine sondern vielleicht gar drei „Fünfer“ aufgelistet sind. Dies würde schon fast einem Freifahrtschein gleichkommen, oder wie es der Chef des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, süffisant formulierte: „Da kann man gleich eine Abitur-Vollkasko-Versicherung anbieten.“

Fakt ist, dass die Bundesländer zur Zeit darüber streiten, das Sitzenbleiben tatsächlich abzuschaffen. In Hamburg ist dies schon Wirklichkeit geworden, Rheinland-Pfalz plant einen Modellversuch und in Niedersachsen überlegt die neue rot-grüne Regierung laut Koalitionsvertrag, das Sitzenbleiben „durch individuelle Förderung überflüssig“ zu machen.

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle warnte dagegen vor einem bildungspolitischen und pädagogischen Populismus. Zitat: „Man entkleidet sich ohne Not eines pädagogischen Instruments, das den Schülern die Möglichkeit bietet, Versäumtes nachzuarbeiten. Das hat nichts mit Strafe zu tun.“

Was würde es denn bedeuten, wenn es wirklich keine Ehrenrunde mehr geben würde? Wie schnell spricht sich das bei den Schülern herum? Wie sieht dann noch die Lern- und Leistungsbereitschafft aus? Und wie geht man mit Schülern in der Grundschule um, bei denen man feststellt, dass sie vielleicht doch ein Jahr zu früh eingeschult worden sind. Muss man diese Schüler dann bis zum Schulabschluss mitschleifen?

Wie sehen die nächsten Schritte aus? Wird es eine Ausbildungsgarantie geben, einen automatischen Studienabschluss nach der Regelstudienzeit, können Prüfungen beliebig oft wiederholt werden, bis sie bestanden sind? Wird es in unserer Gesellschaft eventuell bald nicht mehr wichtig sein, welche Leistungen man im Beruf zeigt, weil man seinen Arbeitsplatz nicht mehr verlieren kann?

„Sitzenbleiben verschwendet Lern- und Lebenszeit – es ist längst nicht mehr zeitgemäß.“ sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe. Das lässt sich schon fast so deuten, dass junge Leute schnellstens zu Schulabgängern werden sollen, um möglichst für lange Zeit ihres Lebens zu Steuer- und Beitragszahlern für das Krankenkassen- und Rentensystem zu werden.

Drei oder mehr „Fünfen“ durch Gruppen-Förderung in der eigenen Schule neben dem regulären Unterricht wieder auszubügeln, ist bei durchschnittlichem Unterrichts-Pensum und der erst kürzlich eingeführten Schulzeitverkürzung purer Stress für den betroffenen Schüler! Nicht zuletzt gibt es diese Art der Förderung, den sogenannten Förderunterricht ja schon seit Jahren, wirklich nützlich ist er erfahrungsgemäß für die wenigsten Schüler.

Vergessen sollte man auch nicht, dass gute Schüler in ihren Lernbemühungen ausgebremst werden, da auf die schwächeren Schüler in Bezug auf Tempo und Schwierigkeitsgrad des Lernstoffes zu sehr Rücksicht genommen werden muss.

Man muss sich fragen, was hier wirklich gewollt ist. Alle Schüler auf ein Niveau zu „schalten“ dürfte sich wohl niemand wünschen und dies sollte nun wirklich nicht erstrebenswert sein. Ich denke schon, dass Kinder und Schüler es zu würdigen wissen, wenn Ihre Leistungen auch entsprechend honoriert werden.

Wie sehen Sie die Problematik? Soll das Sitzenbleiben auch in NRW abgeschafft werden?

Herzlichst Ihre
Christiane Sippel

P.S. Einen Artikel zum Thema finden Sie im Focus Nr. 09/2013. Debattieren können Sie auch unter www.focus.de/magazin/debatte .