Begabte Schüler gehen unter

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BegabtenförderungDie guten Schüler langweilen sich

Das Kind kann schnell denken und rechnen. Aber dem Gymnasium fällt nichts ein, außer es zu Wettbewerben zu schicken. Eine Mutter erzählt, was sie erlebt. von Luise Krone

Unnötig! „Unnötig“ ist die neue Standardantwort meines Kindes auf die Frage: Wie wars denn in der Schule? Die Zeiten, in denen genau dieses Kind mit leuchtenden Augen von Experimenten, Büchern, fremden Ländern oder Ausflügen berichtete, sind lange vorbei. Willkommen in der Pubertät – und in der Schule der Langeweile.

Wie konnte das passieren? Wer hatte unser auf vielen Gebieten talentiertes Kind so frustriert und  desillusioniert? Welche Fehler haben wir als Eltern gemacht und welche die Schule? Wie konnte es so weit kommen, dass gerade an der einst „höheren Schule“, dem Gymnasium, die begabten Schüler in der Menge untergehen? Dass ihre oft herausragenden Leistungen zwar gerne gesehen, jedoch längst nicht mehr erklärtes Ziel dieser Schule sind und schon gar nicht Ergebnis einer besonderen Förderung.

Unnötig! „Unnötig“ ist die neue Standardantwort meines Kindes auf die Frage: Wie wars denn in der Schule? Die Zeiten, in denen genau dieses Kind mit leuchtenden Augen von Experimenten, Büchern, fremden Ländern oder Ausflügen berichtete, sind lange vorbei. Willkommen in der Pubertät – und in der Schule der Langeweile.

Wie konnte das passieren? Wer hatte unser auf vielen Gebieten talentiertes Kind so frustriert und  desillusioniert? Welche Fehler haben wir als Eltern gemacht und welche die Schule? Wie konnte es so weit kommen, dass gerade an der einst „höheren Schule“, dem Gymnasium, die begabten Schüler in der Menge untergehen? Dass ihre oft herausragenden Leistungen zwar gerne gesehen, jedoch längst nicht mehr erklärtes Ziel dieser Schule sind und schon gar nicht Ergebnis einer besonderen Förderung.

Lassen Sie das Kind testen, riet uns vor vielen Jahren der Grundschullehrer. Er vermute eine Hochbegabung. Wir Eltern wollten keinen IQ-Test. Wir wollten keinen Stempel. Wir wussten, dass unser Kind schnell denken, schnell rechnen, Neues schnell aufnehmen konnte. Es war uns egal, ob es hochbegabt war. Die Schule fiel ihm zu. Es ging ihm gut. Wir ließen es laufen. Die Grundschule bemühte sich: Extra-Zettel zum Rechnen, Mathezirkel am Nachmittag, Experten-Dienste im Unterricht. Und immer wieder die Frage: Soll das Kind nicht doch eine Klasse überspringen? Nein, bitte nicht! Das Kind fing an, ein Instrument zu spielen, zeichnete, trieb Sport und war froh über jeden nicht verplanten Nachmittag.

Dann kam es aufs Gymnasium. Die Entscheidung fiel pragmatisch. Die Freunde gingen da auch hin, das Kollegium machte einen modernen, motivierten Eindruck. Das Kind blieb bei seinen Einser- und Zweierzeugnissen, fuhr morgens halbwegs gut gelaunt in die Schule, fiel im Unterricht höchstens mal durch Gequassel auf, jammerte nicht über Hausaufgaben, nicht über Klassenarbeiten, fügte sich den Umständen, auch wenn diese immer weniger inspirierend waren.

Die Lehrer wechselten nun oft. Und nicht jeder hatte die Gabe, nicht jeder hatte Lust, auf den Einzelnen zu schauen. Das Gymnasium war ein Massenbetrieb, längst kein Ort mehr für die Besten.

An einer Schule wie unserer, die offensichtlich kein Programm zur Begabtenförderung hat, hängt vieles vom Zufall ab. Da gibt es mal ein, zwei Jahre einen Lehrer, der sich an den Leistungen und der Motivation der guten Schüler erfreut, schon beschweren sich die Eltern der leistungsschwächeren Kinder, er hänge diese in seinem Eifer komplett ab. Der nächste Lehrer erklärt alles, bis es der Letzte verstanden hat, die Guten verliert er dabei. Seine Aufgabe sei es nicht, sich um die oberen Zehntausend zu kümmern, sagt er auf die Frage, wie er den etwas Begabteren entgegenkommen wolle. Gar nicht also.

Manchmal hörten wir neidisch den Berichten anderer Eltern zu. Die einen hatten sich für den Hochbegabtenzug eines Gymnasiums entschieden. Die Tochter wollte das so, weil sie die Langeweile im Klassenzimmer nicht länger ertragen konnte. Der Sohn von Freunden fuhr jeden Morgen weit mit dem Schulbus, um an einem Spezialgymnasium seiner naturwissenschaftlichen Begabung nachzugehen. Und was taten wir? Ließen wir die Talente unseres Kindes einfach so verkümmern? Mussten wir uns Vorwürfe machen? Jahrelang dachten wir, in unserer entspannten Zurückhaltung alles richtig entschieden zu haben, jetzt hatten wir ein schlechtes Gewissen.

Natürlich fiel es in der Schule auf, dass das Kind gut war. Die Lehrer sagen in solchen Fällen gern, so ein Kind sei ein Segen. Einmal durfte das Kind für ein halbes Jahr lang den normalen Unterricht verlassen, um eine Stunde intensiveres Englisch zu lernen. Der Lehrer rief ihm hinterher: Wer in meinem Unterricht jede Woche eine Stunde fehlt, der bekommt nur noch eine Drei auf dem Zeugnis! Unserem Kind war das egal, aber es fragte sich trotzdem: Warum eigentlich?

Es fing an, im Unterricht Geschichten zu schreiben, immer dann, wenn es besonders langweilig war. Den Lehrern entging das nicht. Manche fragten interessiert nach, niemand unternahm etwas dagegen. Schließlich war das Kind auf diese Weise wenigstens beschäftigt.

Das Kind eignete sich auch gut für jede Form von Wettbewerb. Die Lehrer schickten es zu  Matheolympiaden, Vorlesewettbewerben, zu Jugend forscht. Für Schulen sind Wettbewerbssiege ein Imagegewinn, billige Werbung für kommende Jahrgänge: Seht her, wir sind die Schule mit den Leistungsträgern! Dabei sagt die Wettbewerbsleistung der Schüler rein gar nichts aus über die Güte der Begabtenförderung. Denn die Schüler meistern die Wettbewerbe oft ohne jegliche Unterstützung durch die Schule. Es kam vor, dass der Mathelehrer vergaß, dem Kind mitzuteilen, dass es bei der Olympiade eine Runde weiter ist. Ein versprochenes Coaching für den Vorlesewettbewerb fand nie statt.

Die Schule verliert eines ihrer Talente

Wir haben an Vorabenden von Wettbewerben schon Weinkrämpfe überstanden, gegen Lampenfieber, Angst und Unsicherheit angeredet, immer wieder versucht, Lust zu machen und anzuspornen. Die Schule hat sich weder um die inhaltliche Vorbereitung gekümmert noch für moralische Unterstützung gesorgt. Wir wunderten uns oft, woher unser Kind überhaupt noch die Motivation nahm, an all diesen Wettbewerben teilzunehmen. Ich glaube inzwischen, dass es dorthin geht, weil es auf Leute trifft, die ähnlich ticken, die etwas wollen, die wissen, dass sie etwas können, was in ihren Klassen, unter Mitschülern und leider auch bei einigen Lehrern wenig zählt.

Das Kind ist auf der Suche nach Herausforderung, sicher auch nach Anerkennung. Es sucht im Internet eine neue Schule. Obwohl es nie weg wollte von seinen Freunden, scheint es sich nun zu fragen, ob das schon alles war. Ob es vielleicht doch noch einen Ort gibt, an dem es an seine Grenzen kommt, herausgefordert von Menschen, die sich nicht damit zufrieden geben, dass ihm alles zufliegt, die seine Begabung nicht als Befreiung von sämtlichen Verpflichtungen verstehen, frei nach dem Motto: Ein Problemfall weniger, wie praktisch! Die Schule ist also dabei, eines ihrer Talente zu verlieren. Es ist nicht damit zu rechnen, dass ihr das überhaupt auffällt.

 

Umfrage:

  • Was haben Sie erlebt?
  • Wie fördert man Begabte?
Haben Sie sich selbst als Schüler gelangweilt? Oder fällt Ihrem Kind das Lernen besonders leicht? Findet es neue Herausforderungen? Was haben Eltern und was hat die Schule unternommen, um die Leistungsstarken zu fördern? Schreiben Sie uns hier im Kommentarbereich oder unter leseraufruf@zeit.de, was Sie erlebt haben: als Schüler, Elternteil oder Lehrer.

http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2015-04/schueler-begabung-foerderung-schule